Mahnendes DLF-Interview am 8.12.15 gegen 12.45 Uhr, Historiker Philipp Blom im Gespräch mit Petern Kapern:
Der Vormarsch rechtsnationaler Parteien in Europa wie des Front National
in Frankreich könne sich durchaus fortsetzen, sagte der Historiker und
Autor Philipp Blom im DLF. Autoritäres Denken habe eine viel längere
Tradition als Menschenrechte und Demokratie. Diese könnten genau so
schnell wieder weg sein, wie sie gekommen seien.
Viele Menschen verlören den Glauben an die Demokratie, sagte der
Historiker und Autor Philipp Blom im DLF. Das sei wie in den
30er-Jahren. Demokratie gehe langsam, verlange nach Kompromissen. Es
würden auch keine einfachen und schnellen Antworten geboten. Das sei
aber das, was viele Menschen wollten.
In der Welt mache sich eine
neue Trennung breit, sagte Blom. Es gehe nicht mehr um rechts oder
links, sondern es gebe "einen liberalen Traum und einen autoritären
Traum". Diese Sehnsucht nach einfachen Antworten, das verbinde auch den
IS mit Pegida. Es wäre töricht auszuschließen, dass sich dieser
autoritäre Traum durchsetze. In den 20er- und 30er-Jahren habe auch
niemand geglaubt, dass man Hitler ernst nehmen müsse.
"Wir merken,
dass uns riesige Veränderungen bevorstehen, in der Bevölkerung und der
Gesellschaft", sagte Blom. Unsere Gesellschaft schrumpft und überaltert.
Wir brauchten auch deshalb die Zuwanderung. Das könne zum Austausch
oder zur Konfrontation führen. Es könne aber auch eine Chance sein,
"einen denkfaulen Kontinent wiederzubeleben".
Das Interview in voller Länge:
Peter Kapern:
Es kommt ja selten vor, dass die konservative Tageszeitung "Le Figaro"
und die kommunistische Zeitung "L'Humanité" mit der identischen
Schlagzeile auf der Titelseite erscheinen. Am Montagmorgen war das so.
Da hieß es auf beiden Titelseiten: "Le Choc". Geschockt waren die
Zeitungsmacher vom Wahlsieg des Front National. Geschockt sein müsste
aber ganz Europa, und das schon seit geraumer Zeit, geschockt vom
Vormarsch rechter nationalistischer Parteien in Europa. Ein ganzer
Kontinent auf dem Rückweg in seine Vergangenheit? - Am Telefon bei uns
der Historiker und Publizist Philipp Blom. Guten Morgen.
Philipp Blom: Guten Morgen, Herr Kapern.
Kapern:
Herr Blom, Ungarn, Slowakei, Polen, Dänemark, Finnland, Niederlande,
Belgien, Frankreich, Schweiz, Österreich - das ist eine lange Liste von
Ländern, die alle sehr unterschiedlich sind, die aber doch auch eines
eint: In all diesen Ländern greifen rechte, teils rechtsextreme,
jedenfalls extrem nationalistische Parteien nach der Macht, oder haben
sie sogar schon erlangt. Frisst sich da der Bazillus des
Rechtsnationalen und des Rechtsextremen gerade durch Europa?
Blom:
Das ist auf jeden Fall sehr möglich und ich glaube, wir erleben gerade,
dass angesichts der Herausforderungen an unsere Gesellschaften Menschen
den Glauben an die Demokratie verlieren und sich denken, das müsste
doch eigentlich auch anders gehen, und das tatsächlich haben sich
Menschen in den 1930er-Jahren auch gedacht.
"Historische Parallelen können fürchterlich in die Irre führen"
Kapern: Welche Parallelen sehen Sie da noch? Auch in den Ursachen?
Blom:
Ich meine, historische Parallelen sind immer schwierig. Sie sind immer
sehr verlockend, aber sie können einen auch fürchterlich in die Irre
führen. Aber die Tatsache ist, dass Demokratie etwas ist, was langsam
geht und was immer Kompromisse liefert, und viele Menschen fühlen, dass
ihnen hier nicht die Antworten geboten werden, die einfachen, schnellen
Antworten, die man gerne hätte, und dass man die doch lieber woanders
herbekommt, dass den Ländern die Kontrolle zu entgleiten scheint und man
deswegen zurückkehren will zur nationalen Souveränität, was, glaube
ich, eine völlige Illusion ist, weil alle Herausforderungen, die an uns
gestellt sind, gerade transnational und global sind, das heißt mit
Nationalstaaten eigentlich nichts zu tun haben. Aber es scheint, eine
einfache Antwort zu sein, und ich glaube, es ist ganz wichtig, dass man
sich daran erinnert, dass diese Errungenschaften, für die in Europa viel
gekämpft worden ist, um die viel gekämpft worden ist, Demokratie,
Menschenrechte und so weiter, die können auch wieder verschwinden. Wir
leben damit, dass wir denken, die sind stabil, die haben wir sozusagen
für alle Zeiten uns errungen, aber vom historischen Standpunkt muss man
sagen, die sind sehr rezent. Wir haben sie überhaupt noch nicht lange:
Menschenrechte zwei, 300 Jahre, Demokratie eigentlich erst 80 Jahre oder
so etwas. Und die können genauso schnell wieder weg sein, wie sie
gekommen sind.
Kapern: Und das andere, das hat eine längere Tradition, wie auch immer man das dann bezeichnet und fassen will?
Blom:
Natürlich! Autoritäres Denken hat eine viel längere Tradition. Das hat
Jahrtausende hinter sich. Und das ist sozusagen ein konditionierter
Reflex, der bei uns besteht. Ich glaube, wir erleben im Moment, wie sich
die Welt in zwei neue Lager teilt, und das ist ganz wichtig. Die alte
Unterscheidung zwischen rechts und links ist eigentlich völlig
bedeutungslos geworden. Aber wir erleben jetzt, dass es einen Teil der
Welt gibt, der einen liberalen Traum träumt, und einen anderen Teil, der
einen autoritären Traum träumt, und das verbindet die IS mit Pegida und
Boko Haram mit evangelikalen Predigern in den USA und eben mit Herrn
Orbán und mit den Verfassungsänderungen in Polen und Ähnlichem. Es ist
überall die einfachen Antworten, die nationale Souveränität, die
Tatsache, dass wir wertvoller sind als irgendjemand anders, eine
Rückkehr zu einer gefühlten Sicherheit, die aber keine Sicherheit ist
oder sein wird.
Kapern: Und ein Obsiegen dieses autoritären Traums schließen Sie nicht aus?
"Trumps Forderungen entsetzt die Menschen nicht"
Blom:
Ich wäre töricht, das auszuschließen. Es ist nicht wahrscheinlich und
wir stehen am Anfang von etwas, aber ich meine, in den 1920er- und
30er-Jahren hat niemand geglaubt, dass man Hitler ernst nehmen müsste,
diesen komischen kleinen Korporal mit seinem absurden Schnurbart. Donald
Trump wird wohl nicht amerikanischer Präsident werden, aber wenn sie
sich ansehen, was er sagt, und wenn sie sich ansehen, wie viele Menschen
das augenscheinlich unterstützen, dann sehen Sie, was für ein Potenzial
da für solche Sachen ist. Und wenn jemand kommt und sagt, wir müssen
alle Moslems daran hindern, in unser Land zu kommen, und die, die
bereits da sind, müssen wir registrieren und internieren - es fehlt nur
noch, dass er sagt, wir müssen sie an der Kleidung kenntlich machen -,
dann natürlich hat das fürchterliche historische Resonanzen. Aber das
entsetzt Menschen nicht, sondern Millionen von Menschen stimmen dem sehr
zu.
Kapern: Was genau ist es, was diese
Zustimmung der Menschen derzeit auslöst? Sie haben gesagt, sie verlangen
schnelle Antworten auf Fragen, statt die langsamen Antworten der
Demokratie abzuwarten. Aber auf welche Fragen denn eigentlich?
Blom:
Wissen Sie, es ist auch ein gewisser kultureller Essenzialismus, die
Idee, Kultur hat so ein bisschen als Kampfbegriff Rasse abgelöst in
unseren Gesprächen. Vor 80 Jahren sprach man über Menschen von einer
anderen Rasse, die in unsere Kultur nicht integrierbar sind, die einfach
zu anders sind. Heute kann man das nicht machen; deswegen spricht man
heute von Kultur und sagt zum Beispiel, Moslems haben eine andere Kultur
und sind deswegen nicht integrierbar. Dahinter steht die Idee, dass die
Kultur eine unbewegbare Säule ist, von der man sich nicht wegbewegen
kann. Das ist natürlich Unsinn, wie wir wissen, aber das ist sozusagen
der Kampfbegriff, den wir heute haben. Und die Idee, dass jeder als
seine eigene Kultur weiterleben könnte, dass er nicht verunreinigt wird
durch irgendetwas - ich weiß nicht, ob Sie meine Anführungszeichen
mithören -, das scheint, immer mehr an Popularität zu gewinnen, und das
scheint, auch Politik mit zu bestimmen, und man darf in der langen Liste
von Ländern, die Sie eingangs erwähnt haben, nicht vergessen, dass
natürlich mit der sogenannten Alternative für Deutschland und Pegida in
ihren verschiedenen Ausprägungen auch in Deutschland solche Gedanken
nicht nur erwähnt werden, sondern auch Tausende von Menschen auf die
Straßen treiben.
"Es gibt kein Menschenrecht auf ein ungestörtes Leben in Wohlstand"
Kapern:
Da gibt es die Idee, man könne eine kulturelle Reinheit bewahren, die
ja als Idealtyp ohnehin nicht existiert auf einem europäischen
Kontinent, wo sich die einen nicht nur versuchen, von Muslimen
abzugrenzen, sondern dann auch gleich noch von Roma oder von Menschen
aus, ich weiß es nicht, Osteuropa. Das heißt, diese Abgrenzungsstrategie
würde ja zwischen den Europäern und den Muslimen gar nicht zu einem
Endpunkt kommen.
Blom: Sie würde nicht zu einem
Endpunkt kommen. Aber ich glaube, wir merken im Moment in Europa, dass
uns riesige Veränderungen bevorstehen. Das sind nicht nur Veränderungen
in der Energiepolitik, die viel größer sind, als wir sie machen werden.
Ich glaube, daran werden wir scheitern und das wird uns noch beißen.
Aber das sind auch Veränderungen in unserer Bevölkerung und damit in
unserer Gesellschaft. Die Europäer haben seit 100 Jahren zu wenige
Kinder gekriegt, und das ist ganz einfach eine Realität, und das heißt,
dass unsere Bevölkerung schrumpfen und überaltern wird, dass wir also
neue Arbeitskräfte, neue Menschen in unseren Gesellschaften brauchen.
Und wenn diese Menschen von woanders herkommen, dann sind die anders und
bringen andere Denkmuster mit, und das wird natürlich zu Austausch,
aber auch zu Konfrontation führen. Aber ich glaube, es ist gar nicht
abwendbar, dass das passiert. Ich glaube allerdings auch, man könnte es
auch als eine riesige Chance sehen, einen alternden und etwas denkfaul
gewordenen Kontinent wieder zu dynamisieren. Aber das sehen nicht alle
Menschen als Chance. Viele Menschen denken sich, aber das, was wir
hatten, uns geht es doch gut, wir haben Wohlstand, wir haben ein
ungestörtes Leben, und das wollen wir behalten. Dem gegenüber kann man
nur sagen, es gibt ein Menschenrecht darauf, auf körperliche
Unversehrtheit. Deswegen kommen Flüchtlinge zu uns, deswegen haben wir
denen gegenüber eine ethische Verpflichtung. Es gibt aber kein
Menschenrecht auf ein ungestörtes Leben in Wohlstand, und das würden
sich viele Europäer sehr gerne halten.
Kapern:
Der Historiker und Publizist Philipp Blom heute Morgen im
Deutschlandfunk. Herr Blom, vielen Dank für das Gespräch. Ich wünsche
Ihnen einen schönen Tag und sage auf Wiederhören.
Blom: Danke Ihnen.
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